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Mit Process Mining auf der Spur des Hybriden Kunden

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von Lars Rautenburger & Alexander Liebl
September 02, 2020
Lesezeit: 12 Minuten

โ€žDigitalisierung! Und zwar nicht irgendwann, sondern jetzt!โ€œ Aussagen wie diese sind beinahe inflationรคr im Umlauf - und zwar branchenรผbergreifend auf der ganzen Welt. Insbesondere bei Versicherungen ist der Hybride Kunde nach wie vor einer der personifizierten Treiber dieser Forderung.

Im Rรผckblick betrachtet lรคsst sich sagen, dass Versicherer, die diesen Ruf bereits gehรถrt und konsequent umgesetzt haben, damit einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil erzielen konnten und das nicht nur, weil wรคhrend der Corona-Zeiten Angebote ohne direkten Vorort-Kontakt beraten und verkauft werden mรผssen, sondern auch danach. Selbst reine Vorort-Kunden sind jetzt gezwungenermaรŸen mit den fรผr sie neuen Vertriebskanรคlen wie Internet, Telefon, Chat und Videochat konfrontiert, die maรŸgeblich fรผr den Hybriden Kunden geschaffen wurden.

Sind anfรคngliche Hรผrden und Skepsis erst bezwungen, wird ein Umdenken stattfinden und der kanalรผbergreifende Komfortgedanke (und die damit verbundene zeitliche und รถrtliche Flexibilitรคt) an Wertschรคtzung gewinnen und schlieรŸlich รผberwiegen. Unsere These hierzu: Der persรถnliche Vorort-Kontakt โ€“ egal ob im Vermittlerbรผro oder beim Kunden daheim โ€“ hat seinen Hรถhepunkt vor dem Ausbruch des Corona-Virus fรผr alle Zeit erreicht.

Fragt man sich nun, welche Zielgruppe dadurch anteilig gestรคrkt wird, ist die Schlussfolgerung relativ einfach: Kunden, die den Vorort-Kontakt geschรคtzt haben, legten bisher mehrheitlich auch groรŸen Wert auf die persรถnliche Vorort-Beratung. Nun aber wรคchst die Erfahrung (wenn auch ungewollt), dass รผber verschiedene RemoteKanรคle (z.B. Online, Telefon, Videochat) ebenso gut beraten werden kann.

Doch der Prozess des einzelnen Kunden, fรผr sich schlieรŸlich den persรถnlich prรคferierten Standardkanal zu finden, wird nicht von heute auf morgen abgeschlossen sein. Die Kunden werden die angebotenen Kanรคle testen, Erfahrungen sammeln und so schrittweise ihren neuen Lieblingskanal finden, der ihren Bedรผrfnissen gerecht wird. So nimmt die Zielgruppe Hybrider Kunde einen weiteren Aufschwung, nachdem zuvor teilweise der Eindruck aufkam, dass die ihm zugemessene (mediale) Relevanz nicht von allen im Management mitgetragen wurde.

Ein wachsender Kanal-Mix รผberfordert klassische Tracking Tools

Ein Grund fรผr die โ€žAbneigungโ€œ gegenรผber dem Hybriden Kunden kรถnnte die schwere Greifbarkeit und damit Messung seines Verhaltens sein. Mal ist der Preis ausschlaggebend, dann die Servicequalitรคt. War er gestern noch am Telefon, so ist er heute im Internet und morgen im Videocall. Aber klassische Tools zur Nachverfolgung eines Antragverlaufs im Sales Prozess (sog. Customer Journey Tracking) sind fรผr diesen Kanal-Mix nicht gemacht. Sie liefern keine sinnvollen Ergebnisse fรผr den gesamten Prozess, sondern fokussieren auf Web Analytics fรผr den Online-Teil oder das Tracking eines Telefonats. Ein Kanalwechsel รผberfordert sie, was nicht verwundert, da diese Anforderung in der Vergangenheit nie explizit an diese Tools und Techniken gestellt wurde.

Doch jede dieser Kundeninteraktionen hinterlรคsst Spuren in den jeweiligen Systemen. Auch wenn die aktuell eingesetzten Tools durch einen Kanalwechsel abgehรคngt werden, gelingt es doch immer mehr Versicherungen, dem Kunden durch konsequentes Einbetten der unterschiedlichen Kanรคle in das zentrale Angebotssystem die Mรถglichkeit einzurรคumen, eine Customer Journey am Telefon zu beginnen und z.B. im OnlineTarifrechner zu vollenden, ohne den Antragsprozess von vorne beginnen zu mรผssen.

Die Rede ist vom sog. โ€žseamlessโ€œ Kanalwechsel im Angebotsprozess, also dem nahtlosen Hin- und Herwechseln zwischen den Kanรคlen. Die prinzipielle Zauberformel dafรผr lautet, die erstmalig vergebene, einzigartige ID (meistens die Angebotsnummer) fรผr andere Kanรคle sichtbar zu machen und die bereits gesammelte Datenbasis in anderen Kanรคlen als Ausgangspunkt einzuspielen bzw. abrufbar zu machen.

Das gelingt zunehmend mindestens teilweise, auch wenn noch nicht in allen Versicherungen alle Kanรคle vollstรคndig migriert sind. Im Regelfall fรผllt sich ein Angebot im Abschlussprozess daher schrittweise mit Daten. So erhรคlt ein Angebot beispielsweise die E-Mail-Adresse des Versicherungsnehmers รผber das Telefon, wรคhrend die IBAN im spรคteren Verlauf รผber den Online-Tarifrechner ergรคnzt wird. So wird das Angebot Stรผck fรผr Stรผck mit den tarifierungs- und antragsrelevanten Daten befรผllt, bis es vollstรคndig ist und der Antrag eingereicht werden kann. Gesammelt werden die Daten in den Angebotssystemen, wo alle Fรคden der eingebetteten Kanรคle zusammenlaufen.

Hier wird die Customer Journey des Hybriden Kunden damit erfolgreich getrackt und der glรคserne Kunde wird plรถtzlich greifbar, sobald die erste Informationsรผbermittlung von der jeweiligen Antragsstrecke in das zentrale Angebotssystem stattfindet und eine eindeutige Zuordnung der Angebotsnummer gewรคhrleistet ist. Der bisherige Haken an der vermeintlichen Greifbarkeit und Darstellung der Customer Journey war jedoch, dass dies nur mit groรŸem manuellen Aufwand von IT-Spezialisten mรถglich war, weshalb die vorhandenen Daten in den Tiefen des Angebotssystems meistens nur im Falle eines Fehlerhandlings mit aufwendigen SQL-Abfragen aus dem Schlaf geweckt worden sind.

Process Mining - Die neue kanalรผbergreifende Transparenz realer Prozesse

Doch mit der Entwicklung und Etablierung der Process Mining-Technologie (einem Big Data Anwendungsfall) wurde ein Verfahren erschaffen, das genau diese Erhebung automatisiert und visualisiert darstellt. Vorhandene, aber hรคufig nicht genutzte Daten werden ohne groรŸen Aufwand (eine nรคhere Beschreibung hierzu folgt unten beim Thema Proof of Value) automatisiert in klick- und auswertbaren, topaktuellen Prozessbildern aufbereitet. Bei der Darstellungstiefe kann in einen spezifischen Prozessdurchlauf von der Oberflรคche aus bis auf die einzelne Prozessschrittausfรผhrung via โ€žDrill-Downโ€œ einfach per Mausklick hineingezoomt werden. Process Mining befรคhigt Unternehmen somit ihre Geschรคftsprozesse anhand ihrer Daten zu erfassen, automatisiert zu rekonstruieren und detailliert zu analysieren. Also ein Reverse Engineering Verfahren, das durch Ankopplung an IT-Systeme die Prozessrekonstruierung und -visualisierung mit dem

Ziel durchfรผhrt, mit Hilfe dieser Transparenz Schwachstellen und so Optimierungspotentiale in der Prozessausfรผhrung zu identifizieren. Klassischerweise dient Process Mining dazu, eine Antwort auf die Frage zu bekommen, warum sich die Prozessausfรผhrung nicht wie erwartet verhรคlt. Aber ebenso eignet sich Process Mining fรผr das kanalรผbergreifende Customer Journey Tracking und deckt damit ein weiteres sinnvolles Anwendungsszenario auf, die flexibelste aller Zielgruppen begreifbar zu machen.

Dafรผr braucht es nur wenige, bereits vorhandene Mindestdaten. Die Angebotsnummer, die dazu gehรถrenden Aktivitรคten โ€“ in diesem Fall also die einzelne Antragsdatenzulieferung, der zugehรถrige Kanal und der Zeitstempel (siehe Grafik). All das schlummert in den Angebotssystemen, die eine Seamless-Fรคhigkeit anstreben, um den Bedรผrfnissen des Hybriden Kunden gerecht zu werden. Liest man diese Daten mittels Process Mining aus, erhรคlt man die voll grafische und im Dashboard auswertbare Transparenz, wann fรผr das jeweilige Angebot welche Information รผber welchen Kanal geliefert wurde und wie die Customer Journey aussah.

Stellt man dieser neugewonnenen und bis dahin nicht erzeugbaren Transparenz bei Betrachtung der jeweiligen kundenspezifischen Customer Journeys nun die passenden Fragen entgegen, erhรถhen dasย Wechselspiel und die daraus resultierenden Handlungsfelder die Conversion Rate.

Ein Anwendungsfall: Process Mining als Game Changer

Folgendes Praxisbeispiel verdeutlicht das. Es stellt sich z.B. die Frage: Ist die Ausstiegsquote an bestimmten definierten Messpunkten (z.B. nach Eingabe eines bestimmten Feldes oder รœberschreitung eines Teilschrittes wie der Tarifierung) fรผr alle Kanรคle gleich? Gibt es hier zwischen den Kanรคlen signifikante Unterschiede, stellt sich die Frage der Ursache, um dieser entgegenzuwirken und die Abbrรผche zu verringern. Ein typischer Problemfall ist z.B. dass der Kunde im Online-Tarifrechner hรคufig an einer Stelle aussteigt, an der die Kunden auf betreuten Kanรคle (z.B. Telefon/Videochat) normalerweise nicht abbrechen. Hier gilt es, die Fรผhrung des Kunden durch den Online-Tarifrechner an dieser Stelle zu analysieren. Vermutlich ist die Feldbeschreibung oder gewรผnschte Eingabeart nicht zielfรผhrend und รผberfordert den Kunden.

Da es bei der reinen Betrachtung des Online Tarifrechners vorher keine automatisiert aus der Praxis kommenden Referenzwerte zu anderen Kanรคlen gab, ist es gut mรถglich, dass diese Stelle sich bei der reinen Betrachtung des Online-Tarifrechners zwar als optimierungsbedรผrftig abgezeichnet hat, aber bei der AusschlieรŸlichkeitsbetrachtung nie unter den Top 5 gelandet und somit nicht angegangen worden ist. Von dieser Einzelfallanalyse lรคsst sich dank kanalรผbergreifendem Customer Journey Tracking nun eine bereits in der Praxis funktionierende Best Practice auf andere Kanรคle รผbertragen, um so eine insgesamt hรถhere Abschlussquote zu erzielen.

Als weiterer, erfolgreich in der Praxis erprobter Anwendungsfall fรผr Process Mining in der Versicherungswirtschaft eignet sich besonders der Schaden Management Prozess. Hierbei gilt es aus Kundensicht ganz klar die Prozessgeschwindigkeit zu erhรถhen um kundenfreundlicher zu werden und gleichzeitig die Verringerung der Prozesskosten fรผr einen der kostenintensivsten Geschรคftsprozesse in der Versicherungswirtschaft anzustreben.

Aber wie bei allem Neuen schwingt zunรคchst die Skepsis der Versicherungsunternehmen gegenรผber einer neuen โ€“ vielversprechenden โ€“ Technologie mit, bevor die neue, vollumfรคngliche und einfach aus

wertbare Transparenz als wertstiftender Game Changer erkannt wird. Die Befรผrchtungen, dass fรผr die Anwendung von Process Mining groรŸe Vorabinvestitionen getรคtigt werden mรผssen und hier der nรคchste Langlรคufer in der Pipeline steht, sind nachvollziehbar. IT-Projekte und vermeintlich โ€žout-of-the-boxโ€œ nutzbare Ansรคtze haben oftmals verbrannte Erde hinterlassen.

Hier kรถnnen nur Klarheit und Fakten Abhilfe schaffen:

1. Bereits nach einem kurzen Blick in die Systeme wird klar, dass die notwendigen

Daten vorhanden sind und keine grundlegenden Eingriffe in laufende Systeme notwendig sind.

2. Es handelt sich nicht um ein Implementierungsprojekt, sondern vielmehr um eine OptimierungsmaรŸ-nahme, die auf einer realen Datenbasis aufsetzt, bei der die kurze Time-to-Value an erster Stelle steht.

GrรถรŸte Erfolgsaussichten und minimierte Risiken durch den โ€žProof of Valueโ€œ

Die Anwendung eines in der Praxis validierten Best Practice-Ansatzes โ€“ des sogenannten Proof of Value โ€“ stellt dies sicher. Hierbei entsteht innerhalb von ca. 10 Wochen ein Business Case, der sich selbst trรคgt und auf die strategischen Unternehmensziele einzahlt. Dabei erfordert die Durchfรผhrung des Proof of Value nur geringe Beistellleistungen (z.B. Einrรคumen der Zugriffsrechte auf notwendige Tabellen) fรผr das Unternehmen, das seine Prozesse analysieren und einen Eindruck von seinen realen Prozessablรคufen gewinnen will.

Die notwendige und passende Ausrichtung des Business Cases unter Einbezug laufender Projekte und die allumfassende Einbettung in die Digitalisierungsstrategie wird hierbei federfรผhrend durch den Fach- und Technologieberater durchgefรผhrt, wรคhrend die Process Mining Toolprovider ihre Mitwirkungspflichten mehrheitlich in ihrer Rolle des reinen Technologie Providers erfรผllen.

Um sicher zu stellen, dass der Business Case und die identifizierten Potenziale ihre volle Wirkung entfalten, ist es wichtig, jede einzelne MaรŸnahme vor der Umsetzung anhand der Bedรผrfnisse der Organisation aufzuplanen und sich so bedarfs- und anwendungsfallspezifisch fรผr die bestmรถgliche Umsetzung zu entscheiden. Dies ist der Kerngedanke des Value First Principles der ifb group.

Grundsรคtzlich gilt bei der Priorisierung und Umsetzung von MaรŸnahmen folgendes zu beachten:

a) Handelt es sich um einen Quick Win oder eine mittelfristige OptimierungsmaรŸnahme?

b) Wie lรคsst sie sich bestmรถglich in die aktuelle Digitalisierungsstrategie und laufende Projekte eingliedern, wo gibt es Abhรคngigkeiten?

c) Wie kรถnnen die davon betroffenen Zielgruppen auf den verschiedenen Arbeitsebenen erfolgreich in die Umsetzung mit eingebunden werden, um ihre Mitwirkung und frรผhzeitige Einflussnahme zu ermรถglichen?

So kann beispielsweise RPA grundsรคtzlich eine gute Lรถsung sein, um schnell Mehrwerte zu heben, indem manuelle Arbeitsschritte automatisiert durch einen Software Roboter erledigt werden und so Automatisierungspotenzial genutzt wird. RPA ist jedoch nicht immer und zwangslรคufig langfristig tragend und kann trotz sinnvoller Motivation bei fehlender oder falscher Kommunikation zu groรŸen Verstimmungen und Unruhen fรผhren. Es ist unabdingbar, dass der Mehrwert und das Gesamtbild der Organisation im Vordergrund steht, anstatt von vornherein auf eine bestimmte Technologie abzuzielen, die den Anforderungen nur bedingt gerecht wird.

Alle Beteiligten mit โ€žauf die Reiseโ€œ nehmen

Insbesondere bei Optimierungen und ggfs. Automatisierungen, die interne Wechselwirkungen hervorrufen, ist es essentiell, Transparenz zu leben und alle Beteiligten frรผhzeitig einzubinden - sie mit auf die Reise zu nehmen. Bei der Umsetzung kommt es darauf an, partnerschaftlich an den Zielen zu arbeiten, denn jede Optimierung bedeutet auch Verรคnderung und diese gilt es mit fachlichem Expertenwissen, gesunder Menschenkenntnis und dem nรถtigen Feingefรผhl einzufรผhren. Nur so lรคsst sich sicherstellen, dass die Process Mining-Initiative und ihr Mehrwert sich รผberall entfalten und dass Mitarbeiter, Vertriebspartner und Endkunden den Mรถglichkeiten der Digitalisierung offen gegenรผberstehen, den Wandel aktiv begleiten.

Um diese allumfassende Transformation mรถglich zu machen und allen Interessengruppen gerecht zu werden, ist eine multidimensionale und interdisziplinรคre Aufstellung gefordert. Bei allen Digitalisierungsinitiativen gilt es, funktionale Vielseitigkeit und prozessuales Fachwissen mit einem ausgeprรคgten Technologieverstรคndnis und langjรคhriger fachlicher Versicherungsexpertise zu paaren.

Dieserย Artikel ist in derย Zeitschrift fรผr Versicherungswesen in der Ausgabe-Nr.13/2020ย erschienen.

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Lars Rautenburger & Alexander Liebl
Director Operational Excellence & Process Mining Expert - IFB Group

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